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Eine Erinnerung an Ahrweiler
Als ich knapp 4 Wochen nach der Flut erneut in den Einsatz kam, war ich noch immer sehr geschockt über den Anblick dieser Stadt. Zusammengebrochene Häuser, umgestürzte Bäume, herausgerissene Bahngleise, zusammengestürzte Brücken, Straßen voller Matsch.

Ein riesengroßer Trümmerhaufen. Es riecht nach Öl und Benzin. Alles ist düster und grau. Ein Helikopter der Bundeswehr dreht am Himmel seine Runden. Mehrere Unimogs klappern die Straßen ab. „Es hört sich an wie der neue Actionfilm oder einem Computerspiel, aber nein, es ist die Realität“
Keine Bewohner, nur Mitglieder von Hilfsorganisationen sind auf den Straßen zu sehen. Ein einst wunderschöner Ort ist zur Geisterstadt mutiert. Es herrscht Stimmung wie im Krieg.
Insgesamt waren in den letzten Wochen nach dem ausgelösten Alarm nach der Unwetterkatastrophe weit über 4.500 Helferinnen und Helfer aus verschiedenen Hilfsorganisationen zur Stelle, um zu helfen.
Die Anwohner wurden nach der Flut von der Nacht vom 14.07. auf 15.07.2021 aus ihren Häusern evakuiert und in Notunterkünften oder bei Verwandten untergebracht.
Der Heli der Bundeswehr umkreist und überwacht den Ort und versorgt die Hilfskräfte und Anwohner seit Wochen mit Wasser. Zudem werden sie von Hilfsorganisationen, wie z. B. dem Deutschen Roten Kreuz, Maltesern und anderen Hilfskräften drei Mal täglich mit Essen versorgt. Und man darf auch die Leute nicht vergessen zu erwähnen, die einfach nur so mit angepackt haben.
Das Gute in so schlimmen Zeiten wie diesen ist, dass man in den vergangenen Wochen sehen konnte, wie gut die verschiedensten Hilfsorganisationen miteinander und nicht gegeneinander arbeiten konnten, da wir alle nur das Eine wollen, nämlich helfen!
Als ich in dieser Woche das Essen an die Hilfsorganisationen ausgefahren habe, stockte mir der Atem, als ich aus dem Fenster des MTW`s schaute. Tränen schossen mir in die Augen. Alles ist zerstört. Das Café, in welchem sich vermutlich die besten Freundinnen, die sich von klein auf kennen, seit über 40 Jahren treffen. Das Hotel an der Ecke, in welchem ein junges Ehepaar seine Flitterwochen verbracht hat. Ein Campingplatz, auf welchem Leute ihren Urlaub oder gar ihre Jugend verbracht haben. Alles ist nicht wieder zu erkennen. Die Fensterscheiben wurden von der Flut zerschlagen, die Häuser stürzten zusammen, manche stehen gar nur noch zur Hälfte. Nichts, als Matsch. Kein Zug wird jemals mehr durch diesen Ort fahren, da auch die Gleise von der Flut mitgerissen wurden. Auch die Brücke kann man nicht mehr überqueren, da auch diese zerstört wurde. Ein junger Vater wird seinem Kind niemals sagen können, dass auch er als kleines Kind auf genau diesem Spielplatz seine Zeit verbracht hat.
…all diese Erinnerungen wurden einem von jetzt auf gleich genommen.
Viele Existenzen wurden von jetzt auf gleich ausgelöscht.
Von Wasser…
Wasser, welches wir täglich zum Duschen und kochen benutzen.
Wasser, welches wir täglich trinken.
Genau dasselbe Wasser hat dieses Unheil angerichtet.
Man kommt nicht mehr als diese Person nach dem Einsatz zurück, als die man den Einsatz angetreten hat.
Man wird dankbarer… dankbar für jede Kleinigkeit. Dankbar, für das Frühstück mit der Familie an jenem Sonntag. Ich weiß nun die kleinen Dinge im Leben zu schätzen, wie zum Beispiel das Lachen meiner Mutter, da viele ihre bei diesem Unglück verloren haben. Was würden einige dafür geben dies nochmal sehen zu können. Die Familie ist doch das wertvollste in unserem Leben, also sollten wir, solange wie wir sie haben, Zeit mit ihnen verbringen.
Es spielt auf einmal keine Rolle mehr, ob man die neusten und teuersten Klamotten oder Handys besitzt. Diese Menschen sind froh, dass sie heute Abend einen Platz zum Schlafen haben und etwas zu Essen und Trinken bekommen. In den Notunterkünften kamen Menschen an, die nichts, als eine Decke dabeihatten, mit Glück noch eine Tüte mit Kleidern. Ein Mann kam zu mir und fragte mich, ob er hier etwas zu trinken bekommen könne und vielleicht ein paar Schuhe, da Sandalen alles waren, was er noch hatte. Ein alter Herr mit seiner an Demenz erkrankten Ehefrau fragte, ob sie hier die Nacht verbringen könnten, da ihr Haus über Nacht von der Flut überrascht wurde und sie nirgendwo unterkommen können. Eine Frau bangte, ob ihr Haus noch stehe, wenn sie zurück komme… aber leider wurden ihre Ängste bestätigt.
Durch den Schlamm und die Öle, ist alles so verseucht, dass man das Wasser nicht mehr benutzen, verwenden kann. Die schwer beschädigten Häuser werden vermutlich alle abgerissen. Der Ort nie mehr so aufgebaut wie er einmal war. Als hätte es diese schöne Stadt nie gegeben. Alles, was diesen Menschen geblieben ist, sind oft nur die Erinnerungen in ihrem Kopf und ihren Herzen. Familienangehörige, Fotos, Familienerinnerungsstücke sind oftmals nicht mehr da. Und obwohl sich nach meinem letzten Einsatz schon vieles zum Besseren gewandt hat und das Wasser überwiegend abgepumpt wurde, bleibt noch immer einiges zurück… die komplette Verwüstung.
Auch wenn wir den Menschen nichts von dem, was sie verloren haben, jemals zurückgeben können, habe ich zumindest das Gefühl den Menschen etwas Gutes getan und ihnen in diesem Moment geholfen zu haben.
Erlebnisbericht der Sanitäterin nach dem zweiten Betreuungseinsatz:
Jessyka Schädler, DRK-OV Dudweiler